EU-Ideen-Lab von DAAD Freundeskreis und Partnern: „Rechtspopulismus in Europa“
Seit einigen Jahren erleben die meisten Länder Europas einen wachsenden Einfluss von rechtspopulistischen Parteien. Sie sitzen in vielen Parlamenten, vertreten rechtsautoritäre Positionen (Polen, Ungarn) und vollführen eine erfolgreiche „Normalisierung“. Marine Le Pen werden beispielsweise realistische Chancen auf einen Sieg bei den französischen Präsidentschaftswahlen 2022 eingeräumt. „Einzig Irland ist das Land in Europa ohne rechtspopulistische Erfolge“ (Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer).
Rolle der Zivilgesellschaft
Im EU-Ideen-Lab des DAAD Freundeskreis „Demokratische Zivilgesellschaft unter Druck“ hat vom 17.-19. Juni 2021 (per Zoom) eine intensive und facettenreiche Ausleuchtung des politischen Drucks stattgefunden, der von rechtspopulistischen Kräften in Europa ausgeht. Prof. Dr. Dierk Borstel von der Fachhochschule Dortmund und Dr. Floris Biskamp vom von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Promotionskolleg Rechtspopulistische Sozialpolitik und exkludierende Solidarität an der Universität Tübingen übernahmen die wissenschaftliche Leitung.
In Workshops und Podiumsdiskussionen wurde mit Beteiligung von DAAD-Alumni (vornehmlich aus Deutschland und Ungarn) sehr lösungsorientiert erarbeitet, was und wie sich die Zivilgesellschaft diesem Druck entgegenstellt oder entgegenstellen kann. Die Spurensuche fand in den Bereichen Schule, Hochschule, Kirche und Gewerkschaften sowie Kultur und Medien statt.
Die Moderatorin Britt Lorenzen sorgte für stimmige Zusammenfassungen zwischen den abwechslungsreichen Formaten (Überblicksdarstellung, Podiumsdiskussion, Arbeit in Kleingruppen mit der Hilfe von Miro-Boards, Ergebniszusammenführung und Diskussion).
Das Team der FH Dortmund, geleitet von Dr. Anneka Esch-van Kan und Lara Müller, zog alle Register für einen reibungslosen technischen Ablauf und zeigte im Video einen persönlichen Einblick in die Dortmunder Nordstadt.
Einstellungsmuster und Allianzen
Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer, Senior-Professor an der Universität Bielefeld stellte in einem Eskalationsmodell die „Legitimationsbrücken“ für „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ dar, die sich beispielsweise in der Bevölkerung als Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie, oä. äußern. Er nannte neuere Entwicklungen, die den Erfolg rechtsautoritärer Kräfte begründen, wie die Brutalisierung von Sprache, eine höhere Mobilisierungsfähigkeit oder auch eine Normalisierung von (autoritären) Einstellungsmustern. In Zeiten der CoronaKrise hat es hier eine Allianz und Verstärkung durch Verschwörungsideologien (Impfgegner/innen, Querdenker/innen) gegeben.
Bedeutung von Gelegenheitsstrukturen
Dr. Pia Gerber, Geschäftsführerin der Freudenberg-Stiftung verwies am Beispiel von Hoyerswerda auf die Bedeutung von verlässlicher Jugendarbeit vor Ort (insbesondere im ländlichen Raum) und die verheerende Wirkung von wegbrechenden Gelegenheitsstrukturen
für Begegnung und Austausch. Dabei kommt aus ihrer Sicht der Kunst (in ihrem politischen Gehalt) eine wichtige Transformationsrolle zu.
Gezieltes Framing
Sanem Kleff, Geschäftsführerin von Aktion Courage wies auf die Notwendigkeit von inhaltlicher Medienkompetenz in Schulen hin. Der Druck von Rechts äußert sich als Angriff auf Grundstrukturen der Schule (Finanzen, Personen, rechtliche Fragen). Die Härte und
Permanenz der Auseinandersetzung hat in ihrer langjährigen Beobachtung zugenommen, die Zuschreibung von Deutungsmustern (Framing) im Sinne einer gezielten Drehung der
Opferrolle bei rassistischen Angriffen wird allgegenwärtiger. Hinzu kommen – gegenüber Institutionen – vermehrt parlamentarische Initiativen, Netzaktivitäten oder gezielte Diffamierung bei Mittelgeber/innen.
Entkontextualisierung und Erregungsmuster
Daniel Kraft, DAAD-Alumnus und Pressesprecher der Bundeszentrale für politische Bildung berichtete aus seinem Tätigkeitsbereich, der sich zunehmend (verbalen) Gewaltandrohungen ausgesetzt sieht. Nach seiner Darstellung folgt die gezielte Beleidigung von Institutionen einem wiedererkennbaren Muster: Zitate werden entkontextualisiert
(herausgerissen aus dem Sinnzusammenhang), aus dem Medium übertragen (in ein anderes Medium, eine andere Verbreitungsart) und in kurzer Zeit entlädt sich ein aus dem Nichts aufziehender „Shitstorm“. Einen Lösungsansatz für „separierte Öffentlichkeiten“ sieht er in „aufsuchenden (Bildungs-)Formaten“, möglicherweise orchestriert von einem europäischen Dachverband für politische Bildung.
Europäischer Wissenschaftsverbund
Nach den Workshop-Phasen mit viel persönlichem Engagement (und spürbarer Betroffenheit) einzelner Teilnehmer/innen wurden die wichtigsten Denkanstöße und Anregungen zusammengetragen. Mit einer Mentimeter Abfrage konnten die Ideen ermittelt
werden, die besonders ausbau- und anschlussfähig erscheinen. Hier die wichtigsten Impulse:
• Ein europäischer Wissenschaftsverbund soll dafür Sorge tragen, dass
Forschende/Studierende in allen Ländern Europas die von ihnen gewählten Fächer studieren und freiheitlich in ihnen forschen können – ggf. mit der Wechselmöglichkeit in ein anderes Land.
• EU-Förderprogramm für strukturschwache Regionen- Kunst- und Kulturräume
• Aufsuchende politische Bildung: Diskurs zur Akzeptanz der Gleichwertigkeit der Menschen
• Europäisches Schulöffnungsprogramm: Schulen aus Ländern Europas arbeiten in Bezug auf Programme und Maßnahmen gegen Gewalt (in jeglicher Form) zusammen.
• Grundgesetz als Basis für Leitbilder von Schulen
Bekenntnis und Aufgabe für Europa
Zusammenfassend lässt sich eine hohe Bedeutung von Europa festmachen: Es wurden die Ideen favorisiert, die europaweite Lösungen und internationale Zusammenarbeit in den Mittelpunkt stellen. Damit schlägt das EU-Ideen Lab einen Bogen zum ersten europaweiten Alumnitreffen, das nach der Bundestagswahl im Frühjahr 2022 mit Einbindung von Politiker*innen des Europäischen Parlaments stattfinden soll. DAAD-Alumni werden die wichtigsten Impulse aus den verschiedenen, europäischen Labs in dieses große Treffen hereintragen. Zum Thema Demokratiegefährdung sind in den nächsten Monaten weitere Veranstaltungen auf dem Alumniportal Deutschland geplant.
Caroline Meynen, DAAD Alumnireferat, 28.06.2021